Ein holpriger Weg – Die Vorgeschichte des Erinnerns
Wie kam es in Kempten zur Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit?
2018 wurde die Diskussion eröffnet, wie Kempten mit seiner NS-Vergangenheit umgehen möchte: Zwei ehemalige Schüler des Gymnasiallehrers Richard Knussert (1907-1966), der unter anderem am Carl-von-Linde-Gymnasium unterrichtet hatte, baten die Stadt, sich angesichts der Ehrung Knusserts durch einen Kemptener Straßennamen mit dessen Vita und Wirken zu beschäftigen. Während des Nationalsozialismus war Richard Knussert Mitglied der NSDAP und als Funktionär in leitender Position tätig gewesen. Bei den beiden Straßenumbenennungen in den Jahren 1993 und 2004 in Kempten hatte es zwar erregte Diskussionen gegeben, aber da den Namensgebern der Straßen jeweils eindeutig eine größere Rolle im NS-Regime nachzuweisen war, erfolgte die Umbenennung, ohne weitere Schritte im Umgang mit der lokalen NS-Vergangenheit anzustoßen.
Im Juni 2020 hielt in der Vortragsreihe „Bewegter Donnerstag“ vom Kempten Museum die stellvertretende Leiterin des Instituts für Zeitgeschichte in München, Dr. Martina Steber, einen Vortrag über den Nationalsozialismus in Kempten. Der Vortrag wurde in der Presse und in den Sozialen Medien rege bis kontrovers diskutiert und gab letztlich den Anstoß dazu, dass einer fundierten, wissenschaftlichen und partizipativen Auseinandersetzung mit der Kemptener NS-Vergangenheit der Weg geebnet wurde.
Das Kemptener Kulturamt gab beim Institut für Zeitgeschichte eine Studie zu Richard Knussert in Auftrag, die Ende Juli 2020 in einer Stadtratssitzung vorgestellt wurde. Der Stadtrat entschloss sich daraufhin zu einer Umbenennung der Knussertstraße.
Die Verwaltung wurde außerdem mit der Untersuchung zweier Themenkomplexe beauftragt: der Erarbeitung eines Projektes zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Kempten sowie Konzepten zur Erinnerungskultur, die wissenschaftliche Forschung und partizipative Formate verbinden und in der Mitte der Kemptener Gesellschaft angelegt sein sollen.