Thomas-Dachser-Gedenkpreis 2025
Für ihr vierteiliges Gemälde „Die Tänzerin“ zeichnet die Jury die Künstlerin Ildikó Titkó aus Kempten mit dem Thomas-Dachser-Gedenkpreis aus.
Ildikó Titkó über ihre Arbeit "Die Tänzerin":
Meine Arbeiten sind geprägt von einer Art „Grenzauflösung“ – sowohl was das Genre betrifft als auch hinsichtlich der verwendeten Techniken. Diese Eigenschaft ist auch in dem nun ausgezeichneten Bild deutlich erkennbar.
Ich schaffe figurative Werke, in denen ich mit dem Grad der Abstraktion experimentiere – sei es in der Auflösung oder dem Aufbau der Szenerie. Auch Die Tänzerin ist technisch gesehen ein Gemälde, trägt jedoch in ihrer Bildgestaltung Merkmale der Druckgrafik – etwa dadurch, dass ungefärbte, weiße Leinwandflächen ein integraler Bestandteil der Komposition werden.
Die Auflösung der Grenzen zeigt sich auch in der Darstellung des Menschen selbst – im Verhältnis von Individuum und Masse, in der Gegenüberstellung von Unterschiedlichkeit und tief verborgenen Gemeinsamkeiten, die in einer Komposition zusammengeführt werden.
Mich fasziniert die Vielfalt an Charakteren, Körperformen und Bewegungen – und die Persönlichkeiten, die sich darin offenbaren. Ich untersuche leidenschaftlich gern, wie sich Individualitäten zu Gruppen formen, wie sich persönliche Intentionen in kollektiven Dynamiken oder durch die Eigenheiten des Raumes auflösen – und sich schließlich in einem rhythmischen Muster anordnen.
Meine Kompositionen sind Versuche und spielerische Annäherungen, diese menschlichen Geschichten bildnerisch zu fassen. Flecken, Linien und Farben fügen sich zu einer ästhetischen Einheit. Rhythmen und Harmonien entstehen aus einer geheimnisvollen inneren Ordnung.
Mit meinen Arbeiten möchte ich ästhetische Freude bereiten – so wie auch ein schöner Tanz die Fantasie des Publikums verzaubern kann. Ich hoffe immer, dass ich die Betrachtenden mit hineinziehen kann, dass sie sich mit meinen Figuren identifizieren – und es erfüllt mich mit großer Freude, wenn mir jemand sagt, er habe sich selbst in meinen Bildern wiedergefunden.
Begründung der Jury:
Das eindrucksvolle Gemälde Die Tänzerin bietet Raum für vielfältige Lesarten. Es zeigt eine abstrahierte Figur im Vordergrund, die zeitlos wirkt und in verschiedenen Zeiten auftauchen könnte – von der Antike bis zur Jetztzeit.
Die Frau im Vordergrund ist in ihrer Bewegung mehr gezeichnet als gemalt. Die Malerei wird überzeugend mit Techniken der Zeichnung kombiniert. Das tatsächliche Geschehen im Vordergrund existiert nur skizzenhaft.
Alle anderen Figuren im Bild wenden sich ab. Sie befinden sich zwar im selben Raum, kommunizieren jedoch nicht miteinander. Sie tanzt für sich – und bleibt doch Zentrum der vierteiligen Arbeit.
Die Jury interessierte sich auch für den performativen Aspekt des Motivs: Die Figur in Bewegung könnte etwa eine antike Diskuswerferin darstellen – oder eine Selfie-Pose mit Kamera in der Hand.
Spannend ist außerdem die Bewegungssuggestion: Die Figur wird im oberen Bereich doppelt gezeigt, als wäre sie mehransichtig.
Die Leerstelle, das nur Angedeutete, öffnet Raum für Interpretationen. Man möchte das Bild im Kopf zusammensetzen – doch es gelingt nicht, die Dopplungen passen nicht exakt übereinander. Man möchte die Lücken füllen – doch das Werk verweigert sich. Gerade daraus entsteht ein offener Raum für Assoziationen und der Wunsch, immer alles identifizieren zu wollen, wird fühlbar.
Das Gemälde wirft viele Fragen auf – und erlaubt ebenso viele Antworten. Genau das macht seine Stärke und Preiswürdigkeit aus. Die Jury würdigt außerdem die sichtbare Weiterentwicklung der Künstlerin von Ausstellung zu Ausstellung.
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Portraitfoto der Künstlerin Ildikó Titkó, Foto: Foto Sienz
Videoportrait der Künstlerin von Videograph Daniel Munding
Videoporträt Ildikó Titkó